Geschichte als visuelles Konzept: das "Compendium historiae"
Der Pariser Gelehrte Petrus von Poitiers erstellte im 12. Jahrhundert eine graphische Visualisierung der Heilsgeschichte in Form einer linearen Synopse mit kurzen textuellen Erläuterungen, das Compendium historiae in genealogia Christi. Die Generationenfolge von Adam bis Christus bildet die chronologische Leitachse, mit der die Linien biblischer Herrschergeschlechter korreliert werden, so dass synchrone und diachrone Beziehungen von Personen und Ereignissen simultan ablesbar sind. Das Compendium historiae visualisiert darüber hinaus suggestiv die Grundannahme einer von Gott geordneten und dem menschlichen Verstand in ihrer Ordnung fassbaren, planmäßig und teleologisch verlaufenden Geschichte. Die von Petrus von Poitiers entwickelte Synopse verbreitete sich schnell im gesamten lateinischen Westen. Zwischen dem späten 12. und dem frühen 16. Jahrhundert sind mehrere hundert Abschriften überliefert.
Das internationale Forschungsprojekt (mit Universität Tübingen, Universität Wuppertal, University College London, Università Ca’ Foscari di Venezia) vereint die Disziplinen der Kunstgeschichte, lateinischen Philologie, mittelalterlichen Geschichte, Editionswissenschaft und digitalen Geisteswissenschaft. Es soll
(1) ein umfassender Überblick über Überlieferung des Compendium historiae,
(2) eine Analyse der graphisch-synoptischen Metastruktur sowie der in diese einbetteten Texte, Diagramme und Bilder (mit einer Erfassung der Varianten),
(3) eine auf ausgewählten Zeugen basierende wissenschaftlich-kritische Edition, und
(4) eine Erforschung relevanter Kontexte unternommen werden.
Mit dem Projekt wird methodisch Neuland betreten, wenn es um die adäquate Repräsentation diagrammatischer Strukturen durch einen formalisierten und navigierbaren knowledge graph geht, der die Varianten des Werks als individuelle Realisierungs- und Überlieferungsformen durch innovative Visualisierungstechnologien repräsentiert. Das Projekt wird einerseits eines der visuell innovativsten und einflussreichsten Werke des Mittelalters zugänglich machen und neues Licht auf die Geschichte der Visualisierung von Wissen werfen. Es wird andererseits ein Modell bereitstellen, mit dem Werke komplexer graphischer Struktur künftig ediert und zugänglich gemacht werden können.
Projektzeitraum | 01.01.2023 - 31.12.2025 |
Fördergeber | FWF |
Bewilligungssumme | € 405.012,3 |
Einheit | Institut für Digitale Geisteswissenschaften |
Profilbereich | |
Projektverantwortung | |
Projektmitarbeiter:innen | Sina Krottmaier, BA. BA. MA. |
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