Preisträger:innen 2025
Hanna Stein, 1. Preis Dissertationen
In Ihrer Dissertation („Idiosyncratic and Useful Amateur Film(s)“. Creative and Pragmatic Practices and Representations of Everyday Life in Yugoslav Ciné Club Productions of the 1960s and 1970s) untersuchen Sie anhand von Amateurfilmen die Alltagsgeschichte des sozialistischen Jugoslawiens der 1960er und 70er Jahre. Was macht Amateurfilme, private Videoaufnahmen, zu einer wertvollen historischen Quelle?
Um den Wert nicht-professioneller Filme und Videoaufnahmen als historische Quelle zu erkennen, ist es wichtig, den Produktionsmodus genau zu bestimmen. In den Amateur Media Studies wird grundsätzlich zwischen Amateurfilmen und sogenannten Home Movies unterschieden. Amateurfilme sind häufig in sozialen Gruppen (Klubs) entstanden, wurden einem erweiterten Publikum in Klubs oder auf Festivals gezeigt und zeichnen sich durch filmisches Know-how aus. Im Gegensatz dazu sind private Filmaufnahmen von einer Point-and-Shoot-Ästhetik geprägt. Sie zeigen (scheinbar) spontane Aufnahmen wichtiger familiärer Momente und werden im privaten Rahmen vorgeführt. Das Bedeutende an beiden ist jedoch, dass sie Ausdruck einer sich ausbreitenden massenmedialen Praxis waren: durch leicht zu bedienendes und erschwingliches Filmequipment griffen immer mehr Menschen zur Filmkamera und schufen Repräsentationen von sich und der Welt, in der sie lebten.

Filme beider Modi, zwischen denen es trotz allem auch Überschneidungen gibt, sind daher viel mehr als filmische Zeugnisse, die zeigen, was einmal war. Als solche werden sie zum Beispiel in Fernsehdokumentationen oft genutzt. Ihre Bedeutung besteht darin, dass sie uns die Möglichkeit geben, soziale und individuelle Identitäts- und Sinnstiftungsprozesse und gesellschaftliche Transformationsprozesse zu analysieren. Wir können anhand der Filme z.B. viel über sich wandelnde Geschlechterbeziehungen und -konstruktionen lernen, Mensch-Tier- bzw. Mensch-Umwelt-beziehungen hinterfragen, popkulturelle und politische Verortungen in Augenschein nehmen und vieles mehr.
Darüber hinaus war vor die kollektive Amateurfilmpraxis auch ein Raum in dem sich – in engem Austausch, aber auch in Abgrenzung zum professionellen und kommerziellen Film – innovative Filmsprachen, avantgardistische Praktiken und alternatives (zum Teil subversives) Kino entwickelten. Somit sind diese Filme nicht nur aus kulturhistorischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive, sondern auch für kunst- und filmhistorische Forschungsinteressen relevant.
Sie haben sich im Zuge Ihrer Dissertation 170 solcher Amateurfilme gewidmet. Nach welchen Kriterien stellt man so einen Korpus zusammen und wie wird eine historische Filmanalyse überhaupt vorgenommen?
Die Zusammenstellung des Forschungskorpus und der filmanalytische Zugang hängen stets vom Thema und der Fragestellung der Forschung ab. Je nach Fokus können die Kriterien der Filmauswahl das Produktionsjahr, der Produktionsort, die RegisseurInnen und SchauspielerInnen sein. Auch das Genre (Spielfilm, Dokumentation, Kurzfilm, Animationsfilm, etc.) ist ein wichtiges Auswahlkriterium. Des Weiteren können im Film vorkommende Themen, Orte und Personen, von Bedeutung sein, wenn sich die Forschung beispielsweise mit dem Wandel von Repräsentationen (wer/was wurde wie und wann dargestellt) und Diskursen (wie wurde zu unterschiedlichen Zeiten über ein Thema gesprochen bzw. geschwiegen) beschäftigt.
Auch die methodische Herangehensweise einer historischen Filmanalyse hängt stark von der jeweiligen Fragestellung ab. In den meisten Fällen basiert sie jedoch auf drei Säulen: Kontextanalyse, Filmanalyse und Rezeptionsanalyse. Die Kontextanalyse ist von großer Bedeutung, da Filme nicht ahistorisch sind, sondern Produkte ihrer Zeit. Ohne ein Verständnis des historischen Kontextes würden wir viele filmtechnologische, thematische, symbolische und diskursive Aspekte aus heutiger Perspektive – und damit aus dem Zusammenhang gerissen – einordnen. Die zweite Säule ist die detaillierte Erfassung von Inhalt und Form des Films. Dies ist ein langwieriger und umfangreicher Prozess, der oft anhand von Filmprotokollen durchgeführt wird. In diesen Protokollen werden Szenen, Sequenzen, Bilder, Dialoge, Kameraeinstellungen, Schnitte und auch der Soundtrack detailliert erfasst, mit Filmstills und Zeitangaben versehen und annotiert. Das Protokoll dient der Dokumentation und Beschreibung der wesentlichen Filmelemente – und im Weiteren ihrer Deutung und Analyse. Die dritte Säule – die Rezeptionsgeschichte – ist darüber hinaus wichtig, um zu verstehen, wie der Film in der Öffentlichkeit gezeigt und diskutiert wurde. Auch daraus können wir mitunter wichtige gesellschaftliche, kulturelle und politische Muster, sowie deren Wandel, ableiten.
Im Essay zur Dissertation heben Sie hervor, dass sich über Ihre Forschung die Bedeutung einer medialen Infrastruktur und Medienkompetenz für politische Teilhabe verdeutlicht. Ein Aspekt, der heute bedeutender denn je erscheint. Welche Schlüsse können wir aus Ihren Forschungsergebnissen für den heutigen Umgang mit Medien ziehen?
Obwohl der Vergleich nicht zuletzt quantitativ ein wenig hinkt, lassen sich gewisse Parallelen zwischen dem Filmamateurismus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und der gegenwärtigen Ära von user-created content und social media erkennen. Beide Phänomene spiegeln die Auswirkungen technologischer Medienrevolutionen wider und gehen mit dem Bedarf einher, audiovisuelle (und informationstechnologische) Kompetenzen neu zu erlernen. Das ist die Grundlage für politische und gesellschaftliche Partizipationsmöglichkeiten und stellt keine Selbstverständlichkeit dar. Sie braucht Vermittlung, und diese Vermittlung braucht Infrastruktur.
In meiner Dissertation zeige ich, wie das im ehemaligen sozialistischen Jugoslawien umgesetzt wurde und möchte hier drei Aspekte hervorheben, die für den heutigen Umgang mit Medien bzw. für Bildungsmodelle bedeutend sind (oder sein könnten): Erstens war Medienbildung ein politisches Anliegen und ermöglichte es Menschen, die „neue”, um sich greifende Visualität, kritisch zu verstehen und sie selbst kompetent mitzugestalten. Zweitens wurde Medienbildung nicht ausschließlich für junge Menschen und Kinder konzipiert, sondern für Menschen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher gesellschaftlicher Schicht. Zu guter Letzt hatte Medienbildung im Rahmen der Amateurklubs und -veranstaltungen eine starke soziale, kooperative Freizeitkomponente. Der ideologische und politische Kontext dieser sozialistischen Medienbildung sollte in jedem Fall differenziert betrachtet werden. Dennoch könnte es nicht schaden, die Sozialität von Medienproduktion und die Bedeutung flächendeckender medialer Infrastrukturen als eine Möglichkeit zu sehen, die komplexen medialen Räumen der Gegenwart gemeinsam versteh- und nutzbar zu machen, und damit gegen Medienskepsis, Fake News und Hate Speech entgegenzuwirken.

Hanna Gottlieb-Zimmermann, 1. Preis Masterarbeiten
Ihre Abschlussarbeit mit dem Titel “(Wo)Men Matter – A Comparison of Personal Texts Written by Women and Medical Texts Written by Men in 17th-Century England on the Topic of Pregnancy and Birth” befasst sich, grob formuliert, mit zwei unterschiedlichen Textsorten: Naturwissenschaftlichen Schriften über die Geburt, die von Männern verfasst wurden und Tagebüchern von Frauen, die sich mit dieser Thematik befassen. Wie sind Sie auf dieses – bisher noch weitgehend unbeleuchtete – Thema gestoßen und warum ist es auch noch heute von Bedeutung?
Nachdem ich eine Seminararbeit zum Thema Schwangerschaft und Geburt in - aus der frühen Neuzeit stammenden - Closet Plays geschrieben hatte, war mir schnell klar, dass das Thema Reproduktion nicht nur ein äußerst vielfältiges, sondern auch ein stark unterrepräsentiertes Thema in der geisteswissenschaftlichen Forschung ist.
Das 17. Jahrhundert bietet sich hierbei als Zeitraum insofern an, als dass es durch das erstmalige Einmischen der Männer in die bis dahin weitgehend frauendominierten Gebiete den Beginn der uns heute bekannten Gynäkologie markiert. Demnach war das Heranziehen von medizinischen Büchern naheliegend. Dennoch war es mir ein großes Anliegen, die weibliche Perspektive zu berücksichtigen, da Frauen diejenigen waren, die die Themen Schwangerschaft und Geburt aus erster Hand erfuhren und die in der englischen kultur- und literaturwissenschaftlichen Forschung noch kaum in Betracht gezogen worden waren. Mir war bewusst, dass es wenige von Frauen publizierte Werke aus dieser Zeit gibt, und so kam ich schließlich auf die Idee, persönliche Texte dahingehend zu erforschen. Tagebucheinträge bieten sich hierbei sehr gut an, da sie eine authentische Berichterstattung darstellen und somit zu einer ausgewogeneren Darstellung der Themen Schwangerschaft und Geburt in der frühen Neuzeit beitragen. Die Arbeit soll zudem auch als Denkanstoß für die großteils bestehende geschlechtsspezifische Repräsentation in der Medizin dienen und den aktuellen Diskurs rund um medizinische Themen sowie deren Darstellung mit historischen, soziokulturellen Dimensionen erweitern.
Sie haben einen umfangreichen Textkorpus für Ihre Arbeit herangezogen. Mit welchen Methoden sind Sie Ihren Fragestellungen nachgegangen?
Grundsätzlich basiert die Methodologie auf einem interdisziplinären Zugang, der sich aus Feminist Literary Criticism und Interpretative Phenomenological Analysis zusammensetzt, und ist aufgrund der Korpusdichte als partiell quantitativ mit qualitativer Auslegung zu bezeichnen. Ich entschied mich dazu, die Daten mithilfe von MAXQDA zu kodieren, um sie dann in einem weiteren Schritt meinem eigens erstellten Kategoriensystem zuordnen zu können. Es handelt sich hierbei um verschiedene Spektren, die es mir ermöglichten, jegliche Aspekte aus der Primärliteratur nuanciert zu betrachten. Insgesamt arbeitete ich mit drei Hauptkategorien („public versus private“, „medical versus religious“ und „powerful versus inferior“), welche in einem weiteren Schritt refiniert und mit bestehender Literatur in Zusammenhang gesetzt wurden.
Ihre Arbeit leistet einen wertvollen Beitrag dazu, Stimmen von Frauen in der Geschichte – in diesem Fall der frühen Neuzeit – besser hör- bzw. sichtbar zu machen. Was sind die spannendsten Erkenntnisse, die Sie aus Ihrer Arbeit schließen konnten?
Während eine vorschnelle Einordnung der beiden Genres zu der Annahme führen könnte, dass die Aspekte medizinischer Bücher innerhalb der Spektren eher als „public“, „medical“, und „powerful“ eingestuft werden, und die der Tagebücher eher als „private“, „religious“, und „inferior“, so führte meine Analyse zu einem deutlich differenzierteren Bild. Zum Beispiel ist in fast allen Tagebucheinträgen die Wichtigkeit der Zeug:innen bei der Geburt beschrieben, was alles andere als „private“ ist. Interessant ist auch, dass die in meinem Korpus enthaltenen Tagebücher kaum von ihren Ehemännern schreiben, sondern sich primär an Gott wenden, dem sie ihre vollste Ergebenheit signalisieren, während sie gleichzeitig ihr anatomisches und praktisches Wissen, welches höchstwahrscheinlich mündlich von Generation zu Generation weitergegeben wurde, festhielten. Auch bezüglich der medizinischen Bücher stellt die Ambivalenz zwischen rein medizinischem Diskurs und religiöser Überzeugung ein faszinierendes Spannungsfeld dar. Das wohl spannendste Spektrum ist „powerful vs. inferior“, welches komplexe Machtstrukturen und -verhältnisse aufzeigt. Denn obwohl eindeutig mehr Aspekte der medizinischen Bücher als „powerful“ kategorisiert wurden als Aspekte der Tagebücher, so variieren die Machthabenden enorm. Quantitativ gesehen sind es zwar die Männer, die am meisten Macht ausübten, jedoch war auch Gott ein Träger großer Macht. Ebenso Frauen wurden gewisse Machtinstanzen zugeschrieben, was für insbesondere frühneuzeitliche Verhältnisse sehr überraschend ist. Es wurde beispielsweise geglaubt, dass schwangere Frauen alleine durch ihre Fantasie das Aussehen des Babys beeinflussen können und sie den Zustand der Schwangerschaft als erstes spüren, was durch ein beinahe furchtartiges Gefühl seitens der männlichen Autorenschaft verbalisiert wurde.
Anja Fuchs, 2. Preis Masterarbeiten (ex aequo)
Sie haben Ihre Masterarbeit über „Kunst und Künstliche Intelligenz – Über die Algorithmisierung einer Berufung und Anthropomorphisierung einer Technologie“ verfasst. Das Thema KI scheint derzeit nahezu unumgänglich. Dabei gehen Sie insbesondere auf die Frage ein, wie sich die zunehmende Präsenz von Künstlicher Intelligenz im Kunstfeld in Wahrnehmungen, Haltungen und Deutungsmustern niederschlägt. Was dominiert den aktuellen Diskurs in diesem Themenkomplex?
Der gegenwärtige Diskurs ist vor allem eines: aufgeregt. KI wird ein tiefgreifendes, disruptives Potenzial zugeschrieben, das Arbeits- und Alltagswelt gleichermaßen beeinflussen soll. Was das konkret bedeutet, bleibt jedoch weitgehend unklar. Die damit verknüpften Vorstellungen oszillieren zwischen Fortschrittsglauben und Kulturpessimismus und bedienen sich historischer Erzählmuster, die auf die Zeit der Industriellen Revolution verweisen, ebenso wie post- und transhumanistischer Motive, wie man sie aus dem Science-Fiction-Genre kennt. Diese Gemengelage lässt die Grenze zwischen technologischer Realität und sensationalistischer Projektion zunehmend verschwimmen.

Im Kunstfeld zeigt sich das besonders deutlich: Hier wird KI nicht mehr nur als Werkzeug verstanden, sondern mitunter auch als vermeintlich kreative Akteurin inszeniert. Die Tendenz, KI anthropomorph zu deuten, ihr also menschenähnliche Eigenschaften zuzuschreiben, führt dazu, dass sie mitunter als eigenständiges Subjekt wahrgenommen wird – als etwas, das nicht nur ausführt, sondern entscheidet, schafft, gestaltet. Diese Verschiebung hat unmittelbare Auswirkungen darauf, wie künstlerische Prozesse verstanden, bewertet und eingeordnet werden.
Im Rahmen meiner Forschung haben sich zwei Diskurslinien besonders herauskristallisiert: Zentral ist einerseits die Frage nach den veränderten Arbeitsbedingungen von Kunstschaffenden. Hier wird die Technologie als Faktor erlebt, der bestehende Unsicherheiten, etwa durch Konkurrenzdruck, verschärft und zur Prekarisierung beiträgt. Andererseits eröffnet KI neue Denk- und Handlungsräume: Sie ermöglicht alternative künstlerische Praktiken, macht künstlerisches Schaffen zugänglicher und lädt dazu ein, für die Kunst zentrale Konzepte wie Originalität, Authentizität und Autorschaft neu zu verhandeln.
Diese doppelte Wirkkraft, zwischen Entwertung und Ermöglichung, prägt viele der Perspektiven, die mir im Rahmen meiner Forschung begegnet sind. Dabei wird auch eine Entwicklung sichtbar, die das Selbstverständnis künstlerischer Arbeit grundsätzlich berührt: Wenn maschinell erzeugte Werke in Form und Ausführung kaum mehr von menschlich geschaffenen zu unterscheiden sind, stellt sich die Frage, worin der eigentliche Wert eines Kunstwerks liegt.
Fragen wie diese machen deutlich, dass es bei den Diskursen rund um KI-Kunst nicht nur um eine bloße Technologie geht, sondern immer auch um gesellschaftliche Aushandlungsprozesse, Machtverhältnisse und Werteordnungen.
Die isländische Sängerin Björk hat Ende 1990er Jahre in Hinblick auf elektronische Musik gesagt „“I find it so amazing when people tell me that electronic music has no soul. You can’t blame the computer. If there’s no soul in the music, it’s because nobody put it there.” Kann man diese Aussage fast 30 Jahre später auf von Künstlicher Intelligenz geschaffene Kunstwerke umlegen?
Björks Zitat zeigt auf wunderbare Art und Weise, dass viele der Fragen, die heute im Kontext von KI-Kunst diskutiert werden, keineswegs neu sind. Auch digitale Kunst wurde (und wird) mit Skepsis betrachtet und sah sich früh dem Vorwurf technischer Beliebigkeit ausgesetzt. Gleichzeitig weckte sie eine Faszination für neue künstlerische Ausdrucksformen und kreative Spielarten.
Auch in aktuellen Diskursen zeigt sich diese Spannung deutlich: Auf der einen Seite steht ein beinahe puristischer Anspruch, dem zufolge Kunst „ganz aus einem selbst“ kommen müsse, um als „echt“ und damit als wertvoll zu gelten. Auf der anderen Seite steht eine technologische Avantgarde, die in der KI eine Chance sieht, kreative Prozesse zu erweitern und möglicherweise auch zu demokratisieren.
In der Auseinandersetzung mit KI-Kunst begegnen uns also alte Fragen in neuem Kleid: Was macht ein Kunstwerk aus? Wo beginnt und endet Originalität? Und ist technische (Re-)Produktion gleichbedeutend mit ästhetischer Entwertung? Viele KI-generierte Werke wirken formal makellos, aber inhaltlich leer – glatt, gefällig, aber ohne Reibung, tiefere Bedeutung oder erkennbare Handschrift. Nicht zufällig taucht in diesem Kontext der Begriff „Kitsch“ auf, der als Kritik an Produkten der Kulturindustrie im Sinne Adornos verstanden werden kann.
Gleichzeitig muss ich an Duchamps Readymades denken, Objekte, die nicht durch ihre Form oder Herstellung, sondern durch Kontext, Intention und Rezeption zur Kunst wurden. Vielleicht lässt sich Ähnliches auch über KI-generierte Werke sagen: Entscheidend ist weniger, was erzeugt wurde, sondern in welchem Kontext, mit welcher Intention und ob es als bedeutsam erkannt wird. Ob solche Werke als „echte“ Kunst gelten und ob man ihnen so etwas wie eine Seele beimisst, ist ebenso eine Frage individueller Wahrnehmung, wie auch komplexer kultureller Aushandlungsprozesse.
Sie sprechen in Ihrer Masterarbeit auch die ökonomischen Auswirkungen auf die Kunstszene/den Kunstmarkt an. Werden Künstler:innen in Zukunft in einem Wettbewerb mit Maschinen stehen?
Das Bild vom Wettbewerb mit der Maschine verweist auf die Umbrüche der Industriellen Revolution und fungiert als Kritik an der Automatisierung zuvor exklusiv menschlicher Tätigkeiten und den ökonomischen Folgen, die für den Menschen daraus entstehen. Was einst Ausdruck individueller Kreativität war, lässt sich heute algorithmisch umsetzen – zwar nicht in jedem Detail, aber in einem Ausmaß, das bestehende ökonomische Strukturen merklich verändert.
Besonders deutlich zeigt sich das in jenen Bereichen, in denen Kreativität funktional eingesetzt wird, wie etwa in der Werbung oder im Grafikdesign. Hier zählen weniger Originalität oder künstlerischer Ausdruck als vielmehr Effizienz. Ob ein Werbebanner von einer Designerin oder einer KI gestaltet wurde, ist vielfach unerheblich, entscheidend ist, dass das Ergebnis seinen Zweck erfüllt.
Eine Künstlerin, die ich im Rahmen meiner Forschung interviewte, schilderte diese Veränderung sehr eindrücklich. Sie erstellt digitale Portraits im Animestil, eine Arbeit, für die sie merklich weniger Aufträge erhält, seit bildgenerierende KI-Modelle öffentlich verfügbar sind. Dass die Leistung dieser KI-Systeme auf urheberrechtlich geschützten Werken basieren, die ohne Wissen oder Zustimmung der betroffenen Kunstschaffenden verwendet wurden, verstärkt das Empfinden, sich in einem Wettbewerb wiederzufinden, dessen Bedingungen weder transparent noch fair erscheinen.
Und doch: Eine vollständige Automatisierung künstlerischer Arbeit ist derzeit kaum vorstellbar. Der Medienwissenschaftler Jens Schröter argumentiert, dass sich der Wert eines Kunstwerks in einem kapitalistisch organisierten Kunstsystem nicht allein am Werk selbst bemisst, sondern wesentlich an der Person, die es hervorgebracht hat. Der Körper des Kunstschaffenden – seine physische Präsenz, seine Autorschaft, seine Endlichkeit – wird zur Quelle von Exklusivität. Schröter greift dabei auf Luhmann zurück, der argumentiert, das Genie des Künstlers sei in erster Linie „sein Körper“, ein Körper, der begrenzt ist, der nicht unendlich produziert. Dass etwa seit dem Tod Andy Warhols im Jahr 1987 keine neuen „Warhols“ mehr entstehen, verleiht seinem Werk zusätzliche Rarität und macht es damit auch für den Kunstmarkt besonders begehrt.
In dieser Logik ist massenhaft durch Maschinen erzeugte Kunst nicht nur ästhetisch, sondern auch ökonomisch entwertet. Schröter schlussfolgert, dass es unter kapitalistischen Bedingungen kein Interesse an einer „demokratisierten“ Kunstproduktion geben kann. Künstliche Intelligenz mag vieles leisten, aber sie ist kein menschliches Individuum, kein Autor im eigentlichen Sinne. Und genau der bleibt für Wert, Markt und Mythos vorerst zentral.

Viktoria Zehentner, 2. Platz Masterarbeiten (ex aequo)
Im Essay zu Ihrer Masterarbeit „Aufwachsen in Noricum. Kind sein in der Provinz aus interdisziplinärer Perspektive“ stellen Sie die Frage, ob es über möglich ist, die Lebensrealität von Kindern in der Antike zu rekonstruieren. Ist es das?
Ja – bis zu einem gewissen Grad. Die antike Lebensrealität von Kindern in Noricum lässt sich nicht zur Gänze rekonstruieren, zu fragmentarisch ist das Quellenmaterial, zu sehr unterliegt es einer selektiven Überlieferung. Dennoch ist es möglich, bestimmte Aspekte und Abschnitte der kindlichen Lebenswelt nachzuvollziehen: Facetten des Alltags, etwa das Einwickeln von Babys in Tücher, die soziale Stellung eines Kindes sowie der Umgang der Erwachsenen mit den Jüngeren zeichnen sich ab.
Im archäologischen Befund begegnen uns Kinder besonders dann, wenn sie früh verstorben sind. Diese Grabkontexte liefern Informationen über den deren Tod und die Bestattungsriten. Durch die Kombination mit anderen Disziplinen und Fundzusammenhängen ergibt sich Stück für Stück ein breiter gefächertes Gesamtbild und der Tod wird zur Quelle über das kindliche Leben. Für mich macht genau das die Faszination der Archäologie aus: Materielle Hinterlassenschaften entwickeln sich zu Geschichten und erlauben uns, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Die Ergebnisse meiner Arbeit verdeutlichen, dass Kinder als Teil familiärer und gesellschaftlicher Strukturen gesehen wurden, innerhalb derer sie als sozial eigenständige Individuen mit erhöhtem Schutzbedarf galten. In der Rolle als Part der Familie musste ein Kind zudem verschiedene Pflichten erfüllen, das Spektrum reichte von körperlicher Arbeit bis hin zu Aufgaben in der öffentlichen Repräsentation des Haushaltes. Grundlegend kann also zur Lebensrealität von Kindern in Noricum gesagt werden, dass sie wahrgenommen, betrauert und geschützt wurden.
Für Ihre Arbeit haben Sie mit einer Datenbank zu 337 bestatteten kindlichen Individuen, also Kindergräbern, gearbeitet. Nach welchen Kriterien und mit welchen Methoden geht man bei der Bearbeitung solcher Funde vor?
Das zugrundeliegende Ziel dieser Datenbank war es, die bislang gefundenen und publizierten Kindergräber erstmals an einem Ort zu sammeln, einen Überblick zu erlangen und Muster zu erkennen. Um das Datenmaterial zusammenzustellen habe ich unter anderem alle ab dem Jahr 1938 erschienenen Ausgaben der Zeitschrift „Fundberichte Österreichs“ (kurz FÖ) systematisch durchgesehen und all jene Einträge miteinbezogen, bei denen die Bestattung eines oder mehrerer Kinder erwähnt wurde. Die FÖ berichtet alljährlich über das aktuelle archäologische Geschehen in Österreich, es werden flächendeckende Berichte zu archäologischen Maßnahmen, Funden und Untersuchungen publiziert. Die Ausgaben der Zeitschrift boten demnach die ideale Grundlage für die Suche nach den bisher ergrabenen Kindern in Noricum. Jedes Mal, wenn ein Begriff im Zusammenhang mit einer kindlichen Bestattung in einem Beitrag erwähnt wurde, wurden – wenn vorhanden – der Ort, die Anzahl der Bestattungen, die Art der Beigaben, die Datierung, das Alter des Kindes, der Bestattungskontext (Unterscheidung in Gräberfeld oder Siedlungszusammenhang) sowie Literaturhinweise vermerkt. Im Idealfall wird beim Fund einer Bestattung bereits während der Feldforschung, also der Ausgrabung selbst, die Frage gestellt: Erwachsen oder nicht? So kann der Fokus auf die jeweiligen Eigenheiten und Anforderungen der unterschiedlichen Altersklassen gelegt werden. Lautete in den frühen Berichten über österreichische Fundstellen die Antwort „nicht-erwachsen“, wurde dem Befund häufig nur ein Nebensatz gewidmet. In der aktuellen Forschung liegt der Fokus erfreulicherweise immer mehr auf einer detailreichen und differenzierten Einordnung kindlicher Bestattungen – was nicht zuletzt den sich immer weiterentwickelnden Methoden der Anthropologie und Bioarchäologie sowie dem steigenden Bewusstsein, dass Kinderbestattungen besondere Aufmerksamkeit benötigen, zu verdanken ist.
Was war für Sie die zentrale Erkenntnis, die Sie, in Hinblick auf unser Bild von Kindheit im Noricum, in Ihrer Arbeit gewonnen haben?
Kinder haben in Noricum kein Schattendasein geführt, sie waren vielmehr ein aktiver Teil der Gesellschaft. Die norische Gemeinschaft bestand nicht nur aus männlichen, erwachsenen Bürgern, sondern es gab ein mehrschichtiges, flexibles und lebendiges Sozialgefüge, in dem auch Kinder ihren Platz innehatten. Die Aufarbeitung kindlicher Spuren ist essenziell für unser Verständnis der Menschen innerhalb der Provinz. Sie waren durch ihr Leben und, der hohen Kindersterblichkeit geschuldet, auch durch ihren Tod mit dem Alltag der Erwachsenen verwoben und wurden Großteils nach denselben Riten bestattet. Gleichzeitig deuten Ausnahmen, wie etwa die Bestattung von Kleinstkindern innerhalb von Siedlungsstrukturen, auf eine gewisse Sonderstellung innerhalb der lokalen Traditionen hin. Zudem hat die Zusammenstellung und Auswertung der Datenbank gezeigt, wie wichtig Informationsaustausch und -sammlung ist, um Aussagen über den „Fundstellentellerrand“ hinweg treffen zu können. So konnten beispielsweise Opfergaben für Gottheiten, die Wickelkinder zeigten, mit einem erhöhten Risikofaktor und damit erhöhtem Schutzbedürfnis während der Phase des Abstillens in Zusammenhang gebracht werden. Ebendieser Wunsch, Kinder zu schützen, zeichnete sich besonders deutlich ab und war wohl einer der prägendsten Aspekte des Aufwachsens in Noricum.
Melanie Loitzl, 3. Platz Masterarbeiten
Sie haben sich in Ihrer sprachwissenschaftlichen Masterarbeit „Richtungsausdrücke im Deutschen. Über die Richtungsadverbien auffi, obi, ummi und aussi im Bairischen“ mit etwas befasst, das den meisten Österreicher:innen sehr wichtig ist und beinahe als Kulturgut betrachtet wird, dem österreichisch-bairischem Dialekt. Um sich den Richtungsausdrücken, denen Sie hier nachspüren, genauer auf den Grund zu gehen, haben Sie ein eigenes Experimentdesign entworfen. Wieso war das nötig und wie hat sich dieses gestaltet?
In meinem Forschungsdesign habe ich für die Erforschung der Richtungsausdrücke fiktive Karten verwendet, die als Teil eines Märchens auftreten, das die Reise einer Prinzessin erzählt. Dass man Richtungsausdrücke mittels Landkarten untersucht, ist nicht unüblich. Allerdings trat bei dem konkreten sprachlichen Phänomen, das ich untersucht habe, die besondere Herausforderung auf, dass es Orts- oder Städtenamen beinhaltet (z.B. nach Graz obi).

Konkret war für mich von Interesse, ob die Adverbien wie Himmelsrichtungen oder als topographisches Maß interpretiert werden. Wenn ich in meinem Forschungsdesign authentische Karten verwendet hätte, hätte ich jedoch nicht wissen können, inwiefern die Antworten im Experiment vom Weltwissen der Sprecher:innen beeinflusst werden. Im Falle von nach Graz obi hätte es beispielsweise der Fall sein können, dass die Teilnehmer:innen wissen, wo sich Graz relativ zu ihrem Standort befindet, und dementsprechend den nächstgelegenen Ort auf der Karte auswählen, ohne darauf zu achten, welches Adverb (auffi, obi, ummi oder aussi) verwendet wurde. Diese Ergebnisse hätten recht wenig Aufschluss über die Interpretation von Richtungsausdrücken gegeben. Deshalb habe ich beschlossen, fiktive Landkarten zu verwenden, die in einem Märchen eingebettet waren. Die Studienteilnehmer:innen haben also das Märchen gelesen, und wenn der Dialektsprecher im Märchen einen der Richtungsausdrücke verwendet hat, erschien eine Karte und die Teilnehmer:innen mussten den ihrer Meinung nach entsprechenden Ort auf der Karte auswählen. Durch den fiktiven Kontext und die erfunden Städtenamen konnte ich umgehen, dass das Weltwissen Einfluss auf die Auswahl hat; den einzigen Anhaltspunkt, den die Sprecher:innen hatten, war die Formulierung des Dialektsprechers, die außer den Adverbien keine weiteren Richtungsausdrücke beinhaltete.
Im Zuge Ihrer Arbeit stellen Sie auch Überlegungen an, wie Raumkonzepte sprachlich kodiert werden. Was kann man sich darunter vorstellen?
Sprache ist ein Mittel, um über unsere Realität und Wahrnehmung zu sprechen. Das bedeutet, dass wir auch einen Weg finden müssen, über räumliche Eigenschaften zu sprechen, z.B. wenn wir einen Weg beschreiben wollen. Und in diesen Situationen ist auffällig, dass beispielsweise Adverbien nicht mehr nur in ihrer Grundbedeutung interpretiert werden. Diese Grundbedeutung kann meist recht einfach beschrieben werden - im Falle der Adverbien, die ich untersucht habe, bezeichnet hinauf/auffi z.B. eine Aufwärtsbewegung und hinunter/obi eine Abwärtsbewegung. Wenn sie aber in komplexeren Formulierungen verwendet werden, ist ihre Bedeutung nicht mehr so eindeutig: Was heißt es, wenn ich sage Geh die Straße hinunter? Man kann eine Treppe oder einen Berg hinuntergehen, hier ist die Bedeutung recht eindeutig, aber im Falle von einer Straße ist oft nicht mehr so eindeutig, ob das Adverb als Himmelsrichtung, topographische Veränderung oder als ein ganz anderes Maß interpretiert werden soll. In meiner Arbeit wollte ich deshalb untersuchen, ob es eine Art der räumlichen Konzeptualisierung gibt (z.B. Himmelsrichtungen), die primär für die Interpretation der Adverbien herangezogen wird, weil ich die Annahme hatte, dass die Verwendung und die Interpretation nicht willkürlich sind.
Was macht für Sie den besonderen Reiz an sprachwissenschaftlicher Forschung aus?
Sprache begleitet uns immer und überall. Sie ist ein unglaubliches Werkzeug, mit dem wir all unsere Gefühle, Gedanken und Wahrnehmungen ausdrücken können, und dabei schaffen wir es sogar, dass unser Gegenüber nur durch Worte versteht und nachvollziehen kann, was wir sagen möchten. Ich finde es faszinierend, wie Sprache das komplexe Denken einzelner Menschen sowie gesamter Gesellschaften abbildet und wie komplex Sprache als Kommunikationssystem selbst ist. Die sprachwissenschaftliche Forschung ist für mich ein Weg, um aufzuzeigen bzw. herauszufinden, wie Menschen (inklusive mir selbst) denken und (sprachlich) handeln.