In Rom waren in den vergangenen Ferienwochen viele. Im nahen Ostia wahrscheinlich eher wenige. Ein Fehler, denn dort lässt sich die Entwicklung einer antiken Hafenstadt besonders gut nachvollziehen. „Ostia war der Versorgungshafen für die römische Metropole“, berichtet Alice Landskron. Doch der Ort, der heute aufgrund der Versandung weiter im Landesinneren und neben dem Flughafen Fiumicino liegt, war mehr als nur der Umschlagplatz von Waren aller Art. Inschriften, Mosaike und Gebäudereste geben davon Zeugnis. „Wir erfahren viel über die Veränderung der Gesellschaft, über Berufe und Karrieremöglichkeiten, über die Wirtschaft, aber auch über Kultur und Religion“, schildert die Wissenschaftlerin am Institut für Antike.
Sklaven, Schilder, Shops
„Viele Menschen sind als Sklaven gekommen und haben später als Freigelassene ein Geschäft, ein Lokal oder eine Werkstatt aufgebaut, wie Grabinschriften überliefern.“ Shop-Schilder aus Ton oder Stein bestätigen ebenso die rege Handelstätigkeit. Weiters haben Archäolog:innen in Nachbarschaft des Theaters auf einer Platzanlage Räume mit Mosaiken entdeckt, die vermutlich den Kaufleuten und Reedern wie auf einer Messe Präsentationszwecken dienten. „Ein einzigartiger Fund“, betont die Forscherin.
Kaum bekannt ist, dass sich Handwerker bereits in der Antike ähnlich den mittelalterlichen Gilden zusammenschlossen. Landskron: „Die Gruppen hatten eigene Vereinshäuser und in der Bevölkerung eine starke Stimme.“
Mit Zuwanderer:innen aus den oströmischen Provinzen und heimgekehrten Soldaten kamen neue Religionen auch auf die Apennin-Halbinsel. „17 Stätten des Mithraskults aus dem Osten sind bislang in Ostia nachgewiesen“, weiß Landskron. Weiters habe sich die aus Ägypten stammende Isis-Verehrung etabliert. Vom enorm gestiegenen Wohnbedarf der Stadt – sie zählte in der Blütezeit zwischen dem 1. und 3. Jahrhundert nach Christus bis zu 50.000 Einwohner:innen – zeugen mehrstöckige Häuser mit kleinen Wohneinheiten.
Was Funde verraten
Ein weiteres Fallbeispiel im Forschungsprojekt „Hafenstädte als multiple Sehnsuchtsräume“, verankert im Schwerpunkt „Transmediterrane Verflechtungen“ an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät, bildet Side in der Südtürkei. Dort herrschte ebenfalls ein reges Handelstreiben. Im Gegensatz zu Ostia versorgte die 40.000 Einwohner-Stadt keine Metropole im Hinterland. „Side war vielen Einflüssen von außen und mehr Gefahren von Angriffen ausgesetzt“, skizziert Alice Landskron weitere Unterschiede. Herrschten im Hafen vor Rom Ziegelbauten – bisweilen auch mit Steinplatten verschalt – vor, wurde im Ort der römischen Provinz Pamphylien reichlich Marmor verwendet. „Außerdem belegen viele hochwertige Statuen, dass Kultur und Bildung eine wichtige Rolle spielten“, verweist Alice Landskron auf die Philosophenschule der Zweiten Sophistik, die in auch Side beheimatet war.
Und Alice Landskron erwartet sich weitere Erkenntnisse von Funden, die Kolleg:innen in Italien und der Türkei im Zuge der langjährigen Grabungen und Forschungen entdeckt haben.
Über die Ausgrabungsstätten mehr erfahren
⇒ Parco Archeologico di Ostia Antica
⇒ Antalya Side Archeological Site