Akrasia und Willensschwäche: eine phänomenologische Perspektive
Es ist eine rätselhafte Eigentümlichkeit menschlichen Handelns, dass wir gelegentlich wider unser besseren Wissens handeln und absichtlich und freiwillig Anderes tun, als das, was wir für das Beste halten. Alltagsbeispiele dafür sind zahlreich: Wir beachten unseren „gesunden Menschenverstand“ nicht, geben überlegte Entschlüsse hastig preis, prokrastinieren ohne Ende, oder verhalten uns wiederholt selbstzerstörerisch. Diese Handlungen werden in der Philosophie „akratische“ bzw. „willensschwache“ Handlungen genannt (manche Philosoph*innen machen einen strengen Unterschied zwischen diesen beiden). Solche Handlungen scheinen fest etablierten Intuitionen darüber, wie und warum wir handeln, zu widersprechen, und dadurch die normative Kraft und Reichweite der guten Beweggründe, Urteile, und Intentionen in unseren praktischen oder moralischen Überlegungen zu untergraben. Aber wie ist das möglich, und was können wir dagegen tun? Dieses komplexe Problem befindet sich im Schnittfeld von Handlungstheorie, Rational-Choice-Theorie, Psychopathologie, und Moralpsychologie, und hat in diesen und anderen angrenzenden Bereichen viel Beachtung gefunden.
Das vorliegende Forschungsprojekt beabsichtigt, einen Beitrag zu dieser Fragestellung zu leisten, indem es erstmals eine systematische phänomenologische Analyse der Struktur und der Mechanismen des akratischen und willensschwachen Handelns unternimmt. Die Haupthypothese dieses Forschungsprojektes lautet, dass unser Gesamtverständnis der Akrasia und Willensschwäche durch die phänomenologische Beschreibung des so Handelnden bedeutend verbessert und geschärft würde. Im Gegensatz zur aktuellen Forschungslage und dem vorherrschenden Interesse an isoliert betrachteten akratischen und willensschwachen Handlungen, behaupten wir, dass diese Phänomene ausschließlich im umfassenden Kontext eines holistisch verstandenen Handelns und Handelnden begriffen werden können, und dass die Phänomenologie vorzüglich geeignet ist, eben dies zu zeigen. Zur Durchführung dieses Vorhabens werden wir das methodologische und begriffliche Instrumentarium der Phänomenologie einsetzen. Zudem werden wir die klassischen und rezenten phänomenologischen Studien, die sich mit den relevanten Facetten der Erfahrung und des Handelns befassen, nutzen – z.B. bezüglich der Struktur des Willens, der Habitualisierung, der leiblichen Möglichkeit und der Temporalität des Handelns. Diese Herangehensweise wird es uns ermöglichen, eine philosophisch plausible Darstellung der Akrasia und Willensschwäche zu entwickeln, indem der Fokus auf Begriffe wie Charakter, Gewohnheit und Möglichkeit gelegt wird, welche in der Handlungstheorie bis dato vernachlässigt wurden.
Projektzeitraum | 01.10.2022 - 02.10.2025 |
Fördergeber Förderprogramm | FWF ESPRIT |
Bewilligungssumme | € 294.015,98 |
Einheit | Institut für Philosophie |
Projektverantwortung | Dr.phil. Denis Dzanic |
Projektmitarbeiter:innen | |
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