Tschechoslowakische Nachrichtendienste in Österreich
Bereits nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 begannen die neu gegründeten Geheim- und Nachrichtendienste der Tschechoslowakei mit ihren ersten Aktionen im Nachbarland Österreich. Diese Aktivitäten beschränkten sich vor allem auf die Jagd nach NS-Kriegsverbrechern. Bald nach der kommunistischen Machtergreifung im Februar 1948 nahmen diese Aktivitäten rapide zu und änderten ihre Stoßrichtung – Österreich wurde nun aus tschechoslowakischer Sicht zu einer „ersten Verteidigungslinie” gegen westliche Spione und zu einer wichtigen „Drehscheibe“ für die eigenen Operationen gegen den „Westen”. Bis in die späten 1950er-Jahre, u. a. während der Besatzung durch die USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion, wurden viele der hier für den gesamten späteren „Warschauer Pakt“ wichtigen Operationen von tschechoslowakischen Netzwerken und Agenten ausgeführt. Dies ging so weit, dass das amerikanische „Counterintelligence Corps” (CIC) 1954 berichtete, dass die tschechoslowakischen Nachrichtendienste unter allen osteuropäischen Diensten in Österreich die aktivsten seien und auf österreichischem Boden eine sehr wichtige Rolle im “geheimen Krieg” zwischen Ost und West im heraufziehenden „Kalten Krieg“ spielen würden.
Das vorliegende Forschungsprojekt möchte das gesamte Personal, das in den tschechoslowakischen „Residenturen” (nachrichtendienstlichen Stützpunkten) in Wien und Salzburg sowie ergänzend Berlin, Bern und Genf von 1948 bis 1960 aktiv war, einer sorgfältigen wissenschaftlichen Analyse unterziehen. Tschechische und slowakische Unterlagen werden mit den verfügbaren Materialien ihrer damaligen „Gegner” d. h. amerikanischer, britischer und österreichischer Dienste abgeglichen und vervollständigt. Durch Methoden wie die Netzwerk- und (gruppen-)biografische Analyse werden eine gesamte Generation von tschechoslowakischen Nachrichtendienst-Mitarbeitern, die Strukturen, die sie schufen, ihre Aktivitäten und die Auswirkungen, die diese Operationen auf Österreich zwischen 1948 und 1960 hatten, ans Licht gebracht. Die Forschungen werden sich darauf konzentrieren, wie solche Netzwerke aufgebaut, erhalten und abgesichert wurden, welche operativen Methoden eingesetzt und welche Primär- und Sekundärziele verfolgt wurden. Es wird zu beurteilen sein, wie „erfolgreich” ihre Aktivitäten waren und, als eine der Fragestellungen des Projektes, wie groß die Auswirkungen auf politische, wirtschaftliche, militärische oder auch wissenschaftliche Entwicklungen in Österreich, der Tschechoslowakei und auf den Kalten Krieg in Zentral- und Osteuropa insgesamt waren. Der Forschung stehen mittlerweile große Aktenbestände von „tschechoslowakischer“, britischer, US-amerikanischer und österreichischer Seite zu Verfügung. Ergänzend werden noch verfügbare russische Materialien einbezogen. Dies macht es möglich, diese Aktivitäten aus der Sicht des operativen Personals von beiden Seiten dieses „Konfliktes im Verborgenen” zu betrachten. Diese Forschungen werden nicht zuletzt dabei helfen zu verstehen, wie wichtig Österreich als Operationsfeld für geheim- und nachrichtendienstliche Aktivitäten im Kalten Krieg wirklich war. Sie werden einen Beitrag zur Beantwortung der Frage liefern, bis zu welchem Grad der Mythos von Österreich als „Drehscheibe“ und „Haupteinsatzgebiet” von Nachrichtendiensten von beiden Seiten des „Eisernen Vorhangs” wirklich der Realität entsprach.
Zeitraum | 01.09.2020 - 31.08.2023 |
Fördergeber Förderprogramm | FWF Einzelprojekte |
Bewilligungssumme | € 402.352,65 |
Einheit | Institut für Geschichte |
Projektverantwortung | Univ.-Prof. Mag. Dr. Barbara Stelzl-Marx |
Projektmitarbeiter:innen | Mag.phil. Dieter Bacher Mag.phil. Philipp-Joseph Lesiak |
Projekhomepage | https://bik.lbg.ac.at/forschung/programmlinie-kalter-krieg/aktivitaeten-tschechoslowakischer-nachrichtendienste/ |