Armutsbekämpfung durch Mikrokredite – dafür erhielt Muhammad Yunus, Wirtschaftswissenschaftler aus Bangladesch, 2006 den Friedensnobelpreis. Wer hätte gedacht, dass diese Idee bereits im 13. Jahrhundert umgesetzt wurde? „Im Spätmittelalter lebten 50 bis 80 Prozent der Menschen in Städten in – zumindest zeitweise – sehr prekären Verhältnissen“, weiß Tanja Skambraks. „Um der Armut entgegenzuwirken und gleichzeitig die Wirtschaft am Laufen zu halten, vergaben Stadtregierungen Italiens Mikrokredite zur Überbrückung finanzieller Engpässe an die arbeitende Bevölkerung.“ So konnte sich etwa ein Schuster das Leder kaufen, das er benötigte, um Schuhe anzufertigen.
„Monti di Pietà“ – Berge der Barmherzigkeit – hießen diese Einrichtungen, die Armen gegen Pfand und geringe Zinsen Kleinkredite gewährten. „1462 wurde die erste Pfandleihanstalt dieser Art in Perugia gegründet. In rund hundert Jahren entstanden etwa 200 weitere. Im Unterschied zu privaten Geldverleihern, die Zinsen von 20 bis 30 Prozent einforderten, verlangten die Monti di Pietà nur vier bis zehn Prozent“, berichtet Skambraks.
Wirtschaft mit Werten
Eine wesentliche Rolle bei der Gründung dieser Pfandleihanstalten spielten die Franziskaner. Mit ihren Predigten und Schriften trugen die Bettelmönche maßgeblich zur Entwicklung einer christlichen Wirtschaftsethik bei, geprägt von den Ideen der Nächstenliebe und des Gemeinwohls.
„Social Economy“ lautet heute der Begriff für Betriebe und Institutionen, die sich an demokratischen Grundsätzen, Solidarität und Gemeinwohl statt an Gewinnmaximierung orientieren. Gar nicht so weit davon entfernt erscheint die christlich geprägte moralische Ökonomie im Spätmittelalter. Ein Handbuch für Kaufleute beschreibt als gute Gebräuche neben Frömmigkeit unter anderem: sparsam mit Gewinn umzugehen, mit den Einheimischen fremder Länder in Kontakt zu treten, deren Sprache zu lernen und sich nach deren Sitten angemessen zu kleiden. „Auch aus Briefen geht hervor, dass Kaufleute großen Wert darauf legten, sich eine Reputation als gute Christenmenschen zu verschaffen“, so Skambraks. Mit ihrer Forschung eröffnet die Historikerin neue, faszinierende Einblicke in mittelalterliche Gesellschaften, die unseren oft gar nicht so fremd sind.
Skambraks studierte Mittelalterliche Geschichte, Anglistik und Kommunikationswissenschaft in Dresden. Anschließend promovierte sie an der Uni Mannheim, wo sie sich auch habilitierte. An der Universität Graz verstärken ihre Forschungen zu sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Entwicklungen im Mittelmeerraum nun einen Schwerpunktbereich der Geisteswissenschaftlichen Fakultät.