Anna Klambauer liebt, was sie tut. Seit Herbst 2019 forscht sie am Institut für Anglistik der Universität Graz im Rahmen ihrer Dissertation zum „Wahnsinn in der anglophonen Erzählliteratur“. Ein spannendes Thema, für das sie Alice ins Wonderland folgt und in die Welten einiger Romane von Edgar Allan Poe, Virginia Woolf und weiteren SchriftstellerInnen des 19. Jahrhunderts eintaucht.
„Ich finde die Literaturwissenschaft wahnsinnig interessant“, sagt die Anglistin mit einem Augenzwinkern und freut sich, dass sie im Oktober vergangenen Jahres eine DoktorandInnenstelle an der Universität Graz bekommen hat. Die macht es ihr möglich, sich in den nächsten vier Jahren ganz auf ihre Forschung zu konzentrieren und damit, so hofft sie, den Grundstein für eine wissenschaftliche Karriere zu legen. Davor musste sie sich neben der Arbeit an ihrer Dissertation mit wechselnden Jobs – Übersetzungen, Lektoraten, Lehraufträgen – finanziell über Wasser halten. Gerade für sie eine besondere Herausforderung, denn Anna Klambauer hat Multiple Sklerose. Ein Handycap, das auch ihre Chancen, im akademischen Bereich beruflich Fuß zu fassen, erschwert.
Promotion ohne Limit
Begabten NachwuchswissenschafterInnen, die durch eine Behinderung oder chronische Erkrankung beeinträchtigt sind, Starthilfe zu geben, ist Ziel der Initiative „PromoLi – Promotion ohne Limit“. Im aktuellen Pilotprojekt werden aus Mitteln des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz österreichweit neun DoktorandInnen-Stellen finanziert, eine davon an der Universität Graz für Anna Klambauer. „Langfristig soll dies zu einer nachhaltigen Sensibilisierung führen, damit zukünftig mehr WissenschafterInnen mit Beeinträchtigung Zugang zu einer wissenschaftlichen Karriere bekommen. Dieses Anliegen entspricht den Bestrebungen der Universität Graz, Inklusion und Gleichstellung insgesamt voranzutreiben“, unterstreicht Rektor Martin Polaschek.
„Ich denke ja nicht mit den Beinen“
Anna Klambauer hält PromoLi für eine sehr wichtige Initiative. Aus persönlicher Erfahrung weiß sie von den Bedenken, die für Menschen mit besonderen Bedürfnissen zum Hindernis werden können: „ArbeitgeberInnen fürchten sich vor zusätzlichen Kosten, sei es durch geringere Belastbarkeit oder spezielle Anforderungen an die Ausstattung des Arbeitsplatzes.“ Großteils würden solche Ängste aber auf mangelndes Wissen über chronische Erkrankungen beruhen, ist die Literaturwissenschafterin überzeugt und setzt Hoffnung in das neue Projekt: „PromoLi könnte dabei helfen zu zeigen, dass auch Menschen mit Behinderungen hart arbeiten und etwas leisten können. Ich denke ja nicht mit den Beinen!“
So hat sie auch ihre Promotionsstelle, für die sich insgesamt zehn Personen beworben haben, aufgrund ihrer hervorragenden Qualitäten als Wissenschafterin bekommen, bestätigt unter anderem durch ihren Dissertationsbetreuer Prof. Werner Wolf: „Ihre Dissertation verspricht, einen herausragenden Beitrag zur Geschichte der Darstellung von 'madness' in der englischsprachigen Literatur zu liefern, dessen besonderer Wert in der funktions- bzw. mentalitätsgeschichtlichen Orientierung der Untersuchung liegt.“
Für Anna Klambauer bedeutet die Stelle viel, mit Blick auf ihre berufliche Zukunft ebenso wie unter einem sozialen Aspekt: „Am Institut für Anglistik bin ich in ein inspirierendes Umfeld eingebunden und kann mich mit KollegInnen sowohl wissenschaftlich als auch privat austauschen.“
In ihrer Doktorarbeit zeigt Klambauer unter anderem auf, dass stark kulturhistorisch geprägt ist, was als Wahnsinn bezeichnet wird. „Im 19. Jahrhundert galt Hysterie als Ausdruck von Empfindsamkeit, heute würde man dagegen Pillen verschreiben“, bringt es die Literaturwissenschafterin auf den Punkt. PromoLi könnte einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass auch Menschen mit besonderen Bedürfnissen in Zukunft mit anderen Augen gesehen werden.