In so genannten „Ezählcafés“ sollen Menschen auf lockere, informelle Weise ins Gespräch kommen und über den Austausch mit anderen Personen ihre eigene Lebensgeschichte verarbeiten. Angehörige der Geisteswissenschaftlichen Fakultät verwenden dieses Konzept – es stammt ursprünglich aus der empirischen Sozialforschung und der Oral History – seit rund einem Jahr in ihren Begegnungen mit AsylwerberInnen in verschiedenen steirischen Gemeinden. Auch in Graz gibt es ein Erzählcafé – in der „Einkehr“, einem früheren Wirtshaus am Fuße der Basilika Mariatrost. Seit Mai 2016 ist es an die Caritas zwischenvermietet, insgesamt leben 92 Personen aus 16 Nationen hier, die Altersspanne reicht von wenigen Wochen bis zu 74 Jahren. „Diesen Juni haben wir angefangen dort alle zwei Wochen Erzählcafés zu veranstalten“, berichtet Dr. Barbara Reiter vom Institut für Philosophie, die gemeinsam mit Charlotte Benedek und Rachel Makinson die Organisation übernommen hat. „Die Idee war, Geflüchtete zum Gespräch untereinander anzuregen, aber auch einen Austausch mit GrazerInnen beziehungsweise MariatrosterInnen anzustoßen“, so die Wissenschaftlerin.
Anfangs war die Kommunikation gar nicht so leicht: „Doch über das Kochen hat es dann auf einmal geklappt“, freut sich Reiter. „Die BewohnerInnen der Einkehr haben Rezepte aus ihrer Heimat mit uns geteilt und wir haben ihnen steirische Spezialitäten gezeigt.“ Aus dem Tauschen, Kochen und gemeinsamen Essen ist nun ein Kochbuch entstanden, das auf sehr persönliche Weise zeigt, dass die Kulinarik über kulturelle Grenzen hinweg verbindend wirken kann. „Rezepte aus der Einkehr – So schmeckt Heimat“ nennt sich das druckfrische Werk, das ab 19. Dezember 2016 (und nach den Weihnachtsfeiertagen ab 3. Jänner 2017) im GEWI-Dekanat der Uni Graz (Hauptgebäude/Erdgeschoß) und in der Einkehr selbst während den Erzählcafés um eine freiwillige Spende erhältlich sein wird.
Für Barbara Reiter ist das Buch Dokument eines „gelingenden sozialen Experiments“: „Es bedarf großen Engagements von vielen Seiten, um sich – nach rund einem halben Jahr Vorbereitung – über das fertige Werk freuen zu können“. Neben Reiter, die die Rezepte sammelte und gemeinsam mit ehrenamtlichen HelferInnen die Einkehr-BewohnerInnen beim Zubereiten der Speisen fotografierte, sammelte Mag. Ulrike Freitag vom GEWI-Dekanat passende Zitate und las Korrektur. Isabella Danda, Mariatrosterin und selbstständige Web-Designerin layoutierte das Buch; Markus Tretnak, Amateur Food-Fotograf, steuerte die Großaufnahmen bei. Bewar Abdullah, ein 24-jähriger Flüchtling, Bewohner der Einkehr und großes Maltalent, zeichnet für die künstlerische Komponente des Buchs verantwortlich. Yvonne Loderer und Karoline Obereder, Studierende der Ernährungspädagogik an der PH Steiermark, prüften die Rezepte auf ihre Nachkochbarkeit und vereinheitlichen Mengenangaben.
„Rezepte aus der Einkehr“ ist nach Vor-, Haupt- und Nachspeisen gegliedert und versammelte vor allem leicht zu kochende, typische Gerichte aus verschiedenen Nationen. So steht die süße Spezialität Halva neben Lebkuchen, steirische Kernölaufstriche finden sich auf afghanischem Naan, einem Fladenbrot. Das Kochbuch wurde in einer ersten Auflage von 500 Stück bei der österreichischen HochschülerInnenschaft gedruckt. Die Verantwortlichen hoffen auf eine erweiterte, zweite Auflage und viele Spenden, die allesamt der Einkehr zugutekommen. „Wer interessiert ist, sollte schnell zugreifen, denn es gibt bereits an die 100 Vorbestellungen“, weiß Ulrike Freitag. Die nächsten Erzählcafés in der Einkehr finden am 23. Dezember 2016 sowie am 6. Jänner 2017 jeweils von 17 bis 19 Uhr statt.