Neue Motive des Wallfahrens haben sich in den letzten Jahrzehnten etabliert: Anstelle von Buße und der Heilung von Krankheiten sind Selbstfindung und Entschleunigung die Schlagworte. Traditionelle Pilgerwege verlieren zusehends ihre Wirkung, neue Formen werden gesucht und konstruiert. „Pilgern ist nicht mehr nur auf Fußwegen möglich. Im Laufe der Jahrzehnte haben sich Wallfahrten per Motorrad, Auto, Bus, Zug, Fahrrad, Flugzeug oder gar Pferd gebildet“, sagt Ao.Univ.-Prof. Dr. Helmut Eberhart vom Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie an der Universität Graz. Im Rahmen des EU-Projektes „PILGRIMAGE EUROPE SI-AT“ untersuchte der Forscher gemeinsam mit einer Gruppe von Studierenden steirische Pilgerwege auf deren touristische Herausforderungen. Die Ergebnisse der Forschungsarbeit im Rahmen des universitären Schwerpunkts Kultur- und Deutungsgeschichte Europas flossen auch in eine eigene App „Kirche unterwegs“ ein.
Wallfahrts-Boom
Organisierte Wallfahrten erlebten in den vergangenen zehn Jahren einen regelrechten Boom. Um möglichst viele Menschen zu erreichen, werden auch traditionelle Routen wiederbelebt und neue werden geschaffen. „Der Wallfahrtsort, das eigentliche Ziel einer Pilgerreise, steht nicht mehr im Vordergrund, sondern der Weg dorthin mit all seinen Begleiterscheinungen ist von Interesse“, weiß Eberhart. Und so haben TouristikerInnen längst erkannt, das Angebot an spirituellen Reisen auszuweiten. Bei der derzeit laufenden Neukonzeption von Pilgerwegen nach Mariazell war es der Wunsch vieler Gemeinden, dass die Routen auch ihr Gebiet passieren, um möglichst Anteil an diesem Boom zu haben. Die Gemeinden würden jedenfalls von den PilgerInnen profitieren, betont der Volkskundler.
Wissen für App
Im Jahr 2012 trat die katholische Kirche Steiermark an Eberhart mit einem Auftrag heran: Er sollte Sakraldenkmäler, wie etwa Bildstöcke und Kirchen, entlang zweier neugeschaffener Pilgerwege von Slowenien nach Mariazell erfassen sowie Legenden und Geschichten rund um die Stätten recherchieren. Das Wissen, welches die ForscherInnen im Rahmen des Projektes gewonnen haben, wurde dann in die App „Kirche unterwegs“ eingearbeitet und begleitet die Reisenden auf ihrem Weg zur Begegnung mit Gott und sich selbst.