MigrantInnen, die unter Zwang aus ihrem Heimatland flüchten müssen, erleben oft traumatische Erlebnisse, die sie in der neuen Heimat mit der Hilfe eines/r PsychotherapeutIn zu verarbeiten versuchen. Treten dabei Sprachbarrieren auf, werden DolmetscherInnen zur Therapie hinzugezogen. Welche Faktoren ihre Arbeit beeinflussen und wie eine adäquate sowie hochwertige Dolmetschung gewährleistet werden kann, hat Marija Glišić, Absolventin der Karl-Franzens-Universität Graz, untersucht. Für ihre Masterarbeit, in der sie ein Qualitätssicherungsmodell für das Dolmetschen in psychotherapeutischen Settings entwickelt hat, erhielt Glišić gestern, am 28. September 2016, den Forschungspreis für HTI:Human-Technology-Interface des Landes Steiermark in der Kategorie Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften. Der Preis wurde von Landesrat Christopher Drexler in der Grazer Stadthalle überreicht.
Ein psychotherapeutisches Gespräch, bei dem sprachlich vermittelt werden muss, stellt DolmetscherInnen vor besondere Herausforderungen. Ihre Perspektive wurde wissenschaftlich bislang jedoch nur punktuell erfasst. Glišićs Masterarbeit beschreibt nun erstmals sämtliche Aufgaben, die Dolmetschende während ihres gesamten Arbeitsprozesses durchlaufen. Dieser beginnt bei einer genauen Vorbereitung, erklärt Ass.-Prof. Dr. Nadja Grbic vom Institut für Theoretische und Angewandte Translationswissenschaft und Betreuerin der Arbeit: „Die Dolmetschenden müssen sich zunächst mit dem Hintergrund der PatientInnen vertraut machen: Aus welchem sozialen und kulturellen Kontext wurde der/die Betroffene herausgerissen? Benutzt er/sie eine spezielle Sprachvariante? Was hat er/sie auf der Flucht durchgemacht? Welche Art der Therapie wird angewandt?“
Dabei wird häufig verabsäumt, auch die persönliche Betroffenheit der Dolmetschenden in Betracht zu ziehen: „Sie müssen sich nicht nur fachlich, sondern auch emotional auf das Gespräch vorbereiten. Nicht selten haben sie selbst Migrationshintergrund und werden durch die Erzählungen der PatientInnen an schmerzliche Erlebnisse erinnert“, so Nadja Grbic. Während der Therapie können unter anderem die Beschaffenheit der Räumlichkeiten, die Sitzordnung und die Wahl der Translationsstrategien den Gesprächs- und damit auch den Dolmetschprozess beeinflussen. Besondere Bedeutung kommt im psychotherapeutischen Setting der Nachbereitung zu, die der emotionalen Entlastung der DolmetscherInnen wie der Wissenserweiterung dient.
Sämtliche relevanten Faktoren hat Marija Glišić nun in Form einer Checkliste in ihrer Masterarbeit zusammengefasst. „So können DolmetscherInnen individuelle Qualitätssicherung betreiben und sich auf die verschiedenen Phasen sowie auf mögliche Komplikationen vorbereiten“, schildert die Preisträgerin. Die Checkliste ist Teil eines Qualitätssicherungsmodells, das Glišić durch Gespräche mit DolmetscherInnen entworfen hat und das auf einem Konzept basiert, das ursprünglich für das Monitoring beim Konferenzdolmetschen entwickelt wurde. Glišićs Modell steht allen interessierten Einrichtungen ab sofort kostenlos zur Verfügung.
Das Land Steiermark setzt mit dem Forschungspreis für HTI:Human-Technology-Interface ein Zeichen für die Relevanz von Gesundheit, Medizintechnik und Humantechnologie und möchte vor allem junge WissenschafterInnen zu herausragenden Leistungen in diesen Bereichen anspornen. Der Preis wird in vier Kategorien vergeben: Grundlagenforschung und/oder universitäre Forschung; Wirtschaftliche Anwendungen; Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften sowie Nachwuchsförderung. In dieser letzteren Rubrik erhielt Dr. Verena Leitgeb den HTI-Preis. Die Physikerin hatte in der Arbeitsgruppe Nano-Optik unter der Leitung von Ao.Univ.-Prof. Dr. Joachim Krenn an der Entwicklung und Optimierung neuer optischer Sensoren geforscht und ist jetzt als PostDoc am Materials Center an der Montanuniversität Leoben tätig.
Der HTI-Preis in der Kategorie "Grundlagenforschung" ging an ein interdisziplinären Team rund um Univ.-Prof. Dr. Kristian Bredies vom Institut für Mathematik und Wissenschaftliches Rechnen der Karl-Franzens-Universität Graz und Ass.-Prof. Dr. Christian Langkammer von der Universitätsklinik für Neurologie der Medizinischen Universität Graz.