Alte Dokumente können erstaunlich aktuelle Geschichten erzählen: „Da geht es beispielsweise um religiöse Spaltung in Familien, Beihilfe zur Flucht, auch um Raubritter und Heldentaten“, berichtet Georg Vogeler. Der Historiker und Leiter des Zentrums für Informationsmodellierung der Universität Graz erhält für seine Forschung einen mit knapp drei Millionen Euro dotierten ERC Advanced Grant – eine der höchsten Förderungen, die die Europäische Union vergibt. Damit entwickelt er eine künstliche Intelligenz, um digitalisierte historische Dokumente besser erforschen zu können, ihren Nutzen und ihren Verwendungszweck zu rekonstruieren. Rund 600.000 sind im Portal www.monasterium.net bereits erfasst. „Etablierte Methoden reichen nicht mehr aus, um die große Zahl der Urkunden, die seit dem 13. Jahrhundert in Europa entstanden ist, zu analysieren und die darin verborgenen Geschichten herauszulesen“, berichtet Vogeler.
Das von der EU geförderte Projekt DiDip – „From Digital to Distant Diplomatics“ (von der digitalen zur Urkundenforschung auf Distanz) – schafft nun eine virtuelle Umgebung, in der Mensch und Maschine zusammenarbeiten. „Das Computerprogramm kann aus der Fülle von Daten lernen und Informationen sammeln. Es braucht aber menschliche Kreativität und Verständnisfähigkeit, um diese dann auch zu interpretieren“, beschreibt der digitale Geisteswissenschafter die Aufgabe. Aus der „Zusammenarbeit“ mit künstlicher Intelligenz erwartet er sich neue Aufschlüsse über gesamteuropäische Entwicklungen, Trends und Brüche, nicht zuletzt – brandaktuell in Pandemiezeiten – über die große Pest 1348/49 und die ihr folgende Wirtschaftskrise.
Mit dem ersten Forschungszentrum, der ersten Professur und dem ersten Studium in „Digital Humanities“, den digitalen Geisteswissenschaften, ist die Universität Graz österreichweit eine führende Institution in dieser Disziplin. Die Arbeit ist auch international höchst anerkannt: Ende 2020 wurde bereits Vogelers Kollege Leif Scheuermann mit einem ERC-Grant ausgezeichnet.