Wer von den heute Lebenden ist für historische Emissionen verantwortlich – und damit auch für deren Konsequenzen? Und welche Verpflichtungen leiten sich daraus ab? Antworten auf solche heiklen Fragen wurden in einem Projekt des Wissenschaftsfonds FWF gesucht. Dabei haben Grazer ForscherInnen sowohl juristische als auch philosophische und politische Argumentationen unter die Lupe genommen und neue Theorien entwickelt.
Verhandlungen über Klimaziele gestalten sich meist langwierig und zäh. Vielleicht auch deshalb, weil es dabei um so schwierige Themen wie Gerechtigkeit geht. Im Wesentlichen dominieren derzeit zwei Prinzipien. Erstens die kompensatorische Gerechtigkeit, das heißt, wer Emissionen verursacht, zahlt im Gegenzug Geld dafür. Und zweitens gibt es das Prinzip der distributiven Gerechtigkeit. Das bedeutet, dass Emissionsrechte pro Kopf gleich verteilt werden sollen.
Doch wendet man diese Prinzipien auf historische Emissionen an, stellen sich einige ethische Fragen. Denn wer von den heute Lebenden ist für die oftmals unwissentlich erfolgte Verschmutzung durch vorherige Generationen verantwortlich? Und wie kann bei der aktuellen Verteilung von Emissionen berücksichtigt werden, dass die heutige hohe Lebensqualität in einigen Teilen der Welt überhaupt erst auf Grundlage historischer Emissionen geschaffen wurde? Das FWF-Projekt "Klimagerechtigkeit. Die Signifikanz historischer Emissionen" an der Universität Graz ist diesen Fragen nachgegangen und dabei auch auf überraschende Antworten gestoßen.
Generationenkonflikt
Ein großer Teil der Aktivitäten des Projekts befasste sich mit den grundsätzlichen Voraussetzungen für Gerechtigkeit und Klimaethik zwischen den Generationen. Im Bereich der distributiven Gerechtigkeit erkannte das Team beispielsweise die Notwendigkeit, einige sehr essenzielle Fragen zu klären, bevor mit der Verteilung von Klimarechten begonnen werden sollte, wie Projektleiter Univ.-Prof. Dr. Lukas H. Meyer vom Institut für Philosophie der Uni Graz erläutert: "Um zu verstehen, warum der Klimawandel so bedeutend ist und wie wir mit ihm umgehen sollen, gilt es zu klären, welche Zukunft wir für die Menschheit anstreben, in welchem Zustand wir die Erde nachfolgenden Generationen hinterlassen möchten, welche Umstände unsere Erde beeinflussen werden und welche ethischen Verpflichtungen sich aus der Notwendigkeit ableiten, diese Zukunft sicherzustellen."
Im Rahmen der Arbeiten konnte gezeigt werden, dass selbst bei einer befriedigenden Antwort auf diese Fragen andere Herausforderungen damit nicht gelöst würden, wie etwa die gerechte Verteilung von Emissionsrechten, wie Meyer darlegt: "Man muss sich vor Augen halten, dass Emissionen ein Nebenprodukt so gut wie aller menschlichen Aktivitäten sind, die zu einer Steigerung der Lebensqualität von Menschen führen. Diese Aktivitäten – und in Konsequenz die Lebensqualität – sind aber nicht gleich auf unserem Planeten verteilt. Die schädlichen Folgen dieser Aktivitäten sind hingegen wesentlich einheitlicher verteilt, da Klima keine nationalen Grenzen kennt." Vor diesem Hintergrund gelang es der Gruppe an der Universität Graz zu zeigen, wie die Folgen historischer Emissionen bei der Verteilung von Emissionsrechten systematisch berücksichtigt werden können.
Klima und Ethik im Wandel
Doch auch für die kompensatorische Gerechtigkeit konnten die Mitglieder des FWF-Projekts neue Einsichten erarbeiten und Grundlagen entwickeln. So erstellten die ForscherInnen eine Hintergrundtheorie für das Verursacherprinzip, die dazu beiträgt, erstmals eine – dringend benötigte – verlässliche ethische Basis für die Anwendung kompensatorischer Gerechtigkeit im Bereich historischer Emissionen zu entwickeln. Zusätzlich gelang es zu zeigen, dass für die Entwicklung von Strategien zur Reduktion von Emissionen bzw. zur Anpassung an diese in bestimmten politischen Gesellschaften auch kulturelle Aspekte des Klimawandels zu berücksichtigen sind. Und nicht zuletzt konnte schlüssig argumentiert werden, dass der Klimawandel die Verletzung bestimmter Rechte zur Folge hat, was kompensatorische Maßnahmen überhaupt erst rechtfertigt.
Insgesamt wurden für die bisherigen Ergebnisse des Projekts Argumente und Sichtweisen der Rechtstheorie, der Moralphilosophie und der politischen Philosophie berücksichtigt. Diese erlaubten es dem internationalen Team, Konzeptionen kompensatorischer und distributiver Gerechtigkeit sowie von Verantwortung und Handlungsfähigkeit zu untersuchen und in einen systematischen Zusammenhang zu stellen. So gelang es, theoretische Grundlagen zu schaffen, die es zukünftig erlauben, historische Emissionen in der Klimadebatte weitaus differenzierter als bisher zu berücksichtigen.