Wie kann Geschichtsunterricht an die wachsende Vielfalt in Österreichs Schulen anknüpfen, um Jugendliche zu einem kompetenten Umgang mit Geschichte zu befähigen? Dieser Frage ging Mag. Florian Knopper an der Karl-Franzens-Universität Graz in seiner Diplomarbeit nach, für die er gestern den Viktor-Obendrauf-Preis erhielt. Die Auszeichnung prämiert jedes Jahr die besten fachdidaktischen Abschlussarbeiten der Uni Graz.
„SchülerInnen müssen den Unterrichtsinhalten eine Bedeutung zuschreiben, damit es zu historischem Lernen im Sinne eines Bildungsprozesses kommt“, unterstreicht Florian Knopper, der diese Hypothese mit Untersuchungen im Rahmen seiner Diplomarbeit bestätigte. Der Absolvent der Uni Graz interessierte sich für den Geschichtsunterricht in der Einwanderungsgesellschaft und führte dazu unter anderem ausführliche Interviews mit drei Schülerinnen der achten Klasse eines Grazer Gymnasiums, die ihre Wurzeln im ehemaligen Jugoslawien und in der Türkei haben.
„Erzähle mir von deinen Erfahrungen mit Geschichte“, forderte Knopper seine Interviewpartnerinnen auf. Besonders interessant fand der Uni-Graz-Absolvent, dass einige Jugendliche am Ende ihrer Schullaufbahn nichts mehr von einem Thema des Unterrichts wussten und sich an keine historische Einsicht erinnerten. Dennoch gaben sie an, dass Geschichte in ihrem Leben eine große Rolle spiele – allerdings nur die „eigene“. „Dies zeigt, dass SchülerInnen in einem bedeutenden Ausmaß von den unterschiedlichen Erinnerungsmilieus, denen sie angehören, beeinflusst sind“, so Knopper.
Der Historiker hatte die Jugendlichen auch im Unterricht gefilmt. Anschließend ließ er sie sich selbst analysieren, indem er sie aufforderte, ihre Gedanken und ihr Handeln konkret zu kommentieren und zu beschreiben. „Die Analyse ergab ganz klar, dass die SchülerInnen im Unterricht ihren je spezifischen historischen Sinn bilden. Dabei kann der Migrationshintergrund eine große Rolle spielen, das muss aber nicht zwangsläufig der Fall sein“, berichtet Knopper.
Heterogene Klassen stellen LehrerInnen vor neue Herausforderungen. „Geschichte ist grundsätzlich perspektivisch. Deshalb braucht es ein interkulturelles Konzept, das die Intention verfolgt, in einem gemeinsamen Rahmen kompatible historische Orientierungen zu erarbeiten“, erklärt Knopper. Vielfalt in der Themenwahl und das Heranziehen verschiedener Quellen biete weitere Gelegenheiten, Bezüge herzustellen. Außerdem erfordere es viel Fingerspitzengefühl, SchülerInnen nicht von vornherein eine bestimmte Identität überzustülpen. Die Wissenschaft nennt das die Kulturalisierungsfalle. „Es geht darum, die Jugendlichen nicht auf ihre Herkunftsmilieus zu reduzieren. Sie sollen ihre Perspektiven und historischen Orientierungen selbst einbringen“, sagt der Historiker.
Knopper versteht seine Untersuchung als Anregung und Beitrag zur Diskussion über die zeitgemäße Gestaltung eines für die SchülerInnen bedeutungsvollen Geschichtsunterrichts. Betreut wurde er bei seiner Diplomarbeit von Dr. Georg Marschnig am Institut für Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz.
Der Viktor-Obendrauf-Preis ist benannt nach dem Chemie-Lehrer und Fachdidaktiker Dr. Viktor Obendrauf (1953-2010), der über viele Jahre SchülerInnen, Studierende und KollegInnen mit seinen Experimentalvorlesungen begeisterte. Die diesjährigen PreisträgerInnen, die mit jeweils 1.000 prämiert wurden, sind
- Mag.phil. Mag. rer.nat. Gabriel Hofer-Ranz: Die Verzeitlichung des Zeitlosen. Eine Untersuchung des didaktischen Potentials der Einbindung von Elementen aus der Geschichte der Mathematik in den Mathematikunterricht
- Mag.phil. Florian Knopper: Geschichtsunterricht in der Einwanderungsgesellschaft. Eine empirische Analyse unter Jugendlichen in Graz
- Mag.phil. Greta Korper, BA: Reading in the Constructivist Classroom: An Empirical Study on Strategies Facilitating Reading Comprehension and Retention