„Wenige wissen, dass sich über viele Jahrhunderte hinweg ausschließlich Missionare mit indigenen Sprachen der Welt beschäftigt haben. Als ‚Nebenprodukt‘ ihrer Tätigkeit entstanden Grammatiken und Wörterbücher, die erstmals schriftlich festhielten, was bis dahin nur mündlich weitergegeben worden war“, erklärt Bernhard Hurch vom Institut für Sprachwissenschaft der Universität Graz. Er hat vor Kurzem eine kritische Edition eines bis jetzt unveröffentlichten Konversations-Manuskripts aus dem Mexiko des frühen 18. Jahrhunderts herausgegeben. Conversación en lengua huasteca ist im für seine Fachliteratur renommierten deutsch-spanischen Verlag Iberoamericana-Vervuert erschienen.
Das Manuskript, dessen Autor unbekannt ist, ist für Kolonialherren und jesuitische Geistliche gedacht. Es sollte ihnen die Kommunikation mit der indigenen Bevölkerung erleichtern und enthält die wichtigsten Regeln sowie Übersetzungen und Erklärungen des Huastekischen, einer Mayasprache Zentralmexikos. „Zwar wurden die linguistischen Eckpfeiler des Huastekischen nicht aus wissenschaftlichem Interesse dokumentiert, dennoch können wir anhand dieser Quelle sehr viel über diese Sprache lernen“, erklärt Bernhard Hurch. Entstanden ist das Manuskript im Gebiet rund um San Francisco de Chontla, Veracruz - diese lokale Eingrenzung war aufgrund des beschriebenen Dialekts eindeutig möglich.
Zusätzlich ist das Manuskript auch in sozio-kultureller Hinsicht aufschlussreich, berichtet der Sprachwissenschafter: „Wir erfahren hier auch viel über die situationsbedingte Alltagssprache jener Zeit. Zum Beispiel gibt es eine Passage, die genau darlegt, was man einem jungen Burschen sagen soll, der vom Markteinkauf zu spät zurückkehrt. Da finden sich dann Sätze wie ‚Warum kommst du so spät?‘, ‚Du musst lernen, pünktlich zu sein!‘ oder ‚Hast du wieder getrunken?‘“
Das Manuskript selbst fand der Forscher im Archiv des Ibero-Amerikanischen Instituts in Berlin, wo es über Umwege gelandet war. Als die Jesuiten 1767 Spanien und dessen Kolonien ohne jeglichen Besitz verlassen mussten, wurden viele schriftliche Arbeiten wissentlich vernichtet. „Dennoch kennen wir mehrere Dutzend Sprachbeschreibungen, die zwischen dem späten 16. und dem frühen 18. Jahrhundert entstanden sind. Gerade weil sich danach lange Zeit – Wilhelm von Humboldt ausgenommen – praktisch niemand mit ‚exotischen‘ Sprachen befasst hat, sind diese Dokumente von unschätzbarem Wert“, unterschreibt der Forscher. Bereits im 19. Jahrhundert tauchte gelegentlich die Forderung auf, diese Schriften neu zu edieren, unter anderem auch von dem Grazer Sprachwissenschafter Hugo Schuchardt. In Angriff genommen wurden das Unterfangen aber erst im späten 20. Jahrhundert.
2013 hatte Hurch eine verloren geglaubte Handschrift ebenfalls in Berlin entdeckt. Der Theologe Seberino Bernardo de Quirós hatte 1711 mit Arte y vocabulario del idioma huasteco die älteste grammatische und lexikographische Arbeit zum Huastekischen überhaupt geschrieben. Mexiko hat die kritische Edition dieses Werks, die Hurch 2013 und, im Nachdruck, 2019 herausgegeben hat, zu mexikanischem Kulturerbe erklärt und sie für Bibliotheken kostenlos zur Verfügung gestellt.