Wie fühlt sich wohl eine Meeresschildkröte, deren Artgenossen in einem Fischernetz gefangen sind? Diese Frage ermunterte eine Schülerin von Erich Horne dazu, eine ganze Geschichte rund um eine Schildkrötenfamilie zu erfinden. „Die Schülerin konnte durch ihre Erzählung die Perspektive der Meeresschildkröte einnehmen und so ein besseres Verständnis für die Bedrohung dieser Tiere entwickeln“, sagt Horne.
Er unterrichtet Grundschüler:innen am Colegio de La Presentation in Malaga und nimmt am Erasmus+ Programm „EcoStories“ teil, das federführend von Forscher:innen der Universität Graz begleitet wird. „Das Tolle daran ist, dass die Geschichten den Lernstoff persönlicher machen“, sagt Horne. „Die Kinder erschaffen mit allen Sinnen ihre eigenen Erlebnisse und fantastischen Abenteuer.“
Wissen durch die Hintertüre
Das Projekt „EcoStories“ hat sich aus einem internationalen Forschungsprogramm entwickelt, das eigentlich Covid-19 im Englisch-Unterricht zum Thema hatte. Dabei konfrontierten die Schüler:innen ihre Lehrpersonen regelmäßig auch mit Fragen zum Klimawandel. „Dies klare Bedürfnis der Jugendlichen sowie die positiven Erfahrungen der Wissenschaftler:innen und Lehrer:innen motivierten uns, die Zusammenarbeit in diesem neuen Projekt fortzusetzen“, erklärt Projektkoordinatorin Eva Bauer von der Universität Graz.
„In diesem Ersasmus+ Programm sollen Schüler:innen Geschichten zum Thema Klimawandel und Umweltschutz im Englisch-Unterricht entwickeln“, führt die Projektleiterin Roberta Maierhofer aus. „So lernen die Kinder die Fremdsprache gewissermaßen durch die Hintertüre ohne monotones Repetieren von Vokabeln oder Grammatik.“
Emotionen ansprechen
Victoria Bergner von der neuen Mittelschule der Ursulinen in Graz berichtet, dass es im Unterricht auch um ganz grundlegende Fragen geht, wie „Was geht es mich an, ich bin hier ja sicher?“. Ihre Erfahrung: „Wenn die Kinder ihre eigenen Storys zum Thema Klima entwickeln dürfen, finden sie eine Antwort auf diese Frage.“ Denn diese Storys hätten eine hohe Bedeutung für sie. „Die Schülerinnen sind stolz auf ihre Geschichten und wollen sie mit anderen teilen. Das motiviert sie, sich mit den Themen auseinanderzusetzen.“
Bergner stellt dabei Aufgaben wie „Wie sieht der Urlaub in Frankreich im Jahr 2060 aus?“ oder „Wie hoch müsste der Meeresspiegel steigen, damit auch Graz unter Wasser ist?“. So würden die Jugendlichen angeregt, sich eine Zukunft unter gewissen Gesichtspunkten vorstellen. „Wenn Kinder sich mit einer Geschichte emotional auseinandersetzen, bleiben nicht nur diese Inhalte besser im Gedächtnis, sondern auch die dazu passenden englischen Wörter.“
Neues Unterrichtsmaterial
Begleitet werden die Lehrer:innen dabei von Wissenschaftler:innen der Universität Graz, der Ca’Foscari Universität in Venedig und der Universität Malaga. „Das Ziel ist, nützliche Unterrichtsmaterialien zu entwerfen, die auf Fakten basieren und Spaß machen“, erklärt Nicole Haring, Post-Doc-Forscherin im Projekt. Die Lehrer:innen werden in diese Entwicklung eingebunden und bringen ihre Erfahrungen und Ideen ein.
Vertrauen in die Wissenschaft stärken
Für Lehrer:innen sei das eine neue Erlebnis, sagt Mara Zordan von der Tronzanella School in Venedig. „Die Schüler:innen sind begeistert von der Möglichkeit, ihre eigenen Geschichten zu schreiben. Sie können ihrer Kreativität freien Lauf lassen und etwas ganz Besonderes erschaffen.“ Sehr bewegend ist für die Pädagogin, dass jede Stimme gehört werden kann. „Manche Jugendlichen präsentieren nicht gerne vor der Klasse und halten sich eher zurück. Aber sie können zu Hause in einer vertrauten Umgebung ein Video aufnehmen und das dann der Klasse vorspielen.“
Zordan lässt den Schüler:innen in der Gestaltung ihrer Geschichten volle Freiheit. „Sie beschäftigen sich intensiv mit der Materie und produzieren ganz unterschiedliche Formate. Das reicht von Texten über Präsentationen bis zu TikTok-Videos.“
Initiativen wie dieses Erasmus+ Projekt sind für Uni-Graz-Vizerektorin Mireille van Poppel für die Zukunft entscheidend: „Mit dem Programm stärken wir bei den Kindern das Vertrauen in die Wissenschaft“.
Zum Projekt: EcoStories