Sie sind beliebte Studienobjekte in der Schule, viele Jahrhunderte alt und doch zeitlos aktuell: Fabeln gehören zu den Dauerbrennern im Unterricht. Die gleichnishaften Erzählungen eignen sich hervorragend dazu, anhand ihrer Interpretation literarische Kompetenzen zu erwerben. An der Universität Graz widmet sich Ursula Gärtner, Professorin für Klassische Philologie/Latinistik, antiken Fabeln, die lange Zeit ein Stiefkind der Forschung waren. Ihre neuen Erkenntnisse finden nun im Rahmen eines vom Wissenschaftsministerium geförderten „Sparkling Science“-Projekts Eingang in den Schulunterricht.
Welche Funktion hatten Fabeln im Altertum? Was sagen Sie uns heute? Diesen Fragen gehen SchülerInnen der Fächer Latein und Altgriechisch in Graz und Potsdam nach. Gemeinsam mit Studierenden erarbeiten sie unter der Leitung von Ursula Gärtner die Inhalte für das „Grazer Repositorium antiker Fabeln (GRaF)“. In diesem Webportal, das in Kooperation mit dem Zentrum für Informationsmodellierung der Uni Graz erstellt wird, finden sich ausgewählte Fabeln von Phaedrus, Aesop, Avian und Babrios samt Hinweisen zu den Autoren, textkritischen Anmerkungen, Vokabelangaben, Übersetzung, Sacherklärungen und Paralleltexten sowie Materialien zur Unterrichtsgestaltung. GRaF lässt sich somit von LehrerInnen und SchülerInnen nützen, als digitales Schulbuch, das den Ansprüchen einer wissenschaftlichen Edition gerecht wird.
Fabeln dienten in der Antike als rhetorische Argumentationsmittel, um als Bilder einen Sachverhalt zu verdeutlichen. Sie galten nicht als hohe Kunstform. Diese Einschätzung hat sich in der Wissenschaft über die Jahrhunderte erhalten. Eine Ansicht, die Ursula Gärtner keineswegs teilt. Besonderes Augenmerk hat sie den Werken von Phaedrus (1. Jh. n. Chr.) gewidmet. Der römische Dichter hat erstmals Fabeln in Versform verfasst.
„Lange Zeit hielt man ihn für einen freigelassenen Sklaven, der in Form von Fabeln Kritik an den Herrschaftsstrukturen üben wollte und vergeblich versuchte, die hohe Kunst der Dichtung auf seine Werke zu übertragen“, fasst Gärtner eine Sichtweise zusammen, die sie in einem Interpretationskommentar widerlegt. „Phaedrus ist ein umfassend gebildeter Autor, der sich in einem poetologischen Diskurs über die Ansprüche der hohen Dichtkunst seiner Zeit lustig macht.“
So zum Beispiel in einer Fabel, in der eine Grille – sie steht für die „feine“ Stimme der niveauvollen Dichter – einer „weise“ Eule auf die Nerven geht. Auch Phaedrus‘ Verwendung des Jambischen Sechsfußes, einer seinerzeit als „niedrig“ erachteten Versform, ist Teil seiner geistreichen Spielerei.
Die Synthese von fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Forschung nützt im Besonderen den LehrerInnen. Den Jugendlichen bietet das Sparkling-Science-Projekt Gelegenheit, selbst literaturwissenschaftlich zu forschen. Ende Mai 2018 konnten sie ihre Ergebnisse bei einem SchülerInnenkongress in kreativen Formaten vorstellen. Die Präsentationsformen reichten vom Interview bis zur Modenschau mit Fabelfiguren.