„Um 1200 wurde die Liebe zu einem zentralen Thema“, erinnert Managò an den mittelterlichen Minnesang, in dem ein ritterlicher Sänger eine höfische Dame sehnsüchtig anbetete. Am romantischen Interesse dürfte sich seitdem wenig geändert haben – viel hingegen in der literarischen Verbreitung.
Lesen konnten früher nur wenige, Handschriften waren ein kostbares Gut. Heute türmen sich Werke des Genres „Romantasy“ auf den Verkaufstischen der Buchhandlungen und füllen Plattformen von Amazon bis TikTok.
Was ein neuer Hype zu sein scheint, nimmt in vielerlei Hinsicht Anleihen im Mittelalter, bestätigt die Germanistin: „Weil sich generell die Gattung Fantasy zahlreicher Elemente dieser historischen Epoche darunter Kreuzritter, Burgen und Zauberwesen bedient.“
Ebenso ähnelt das Schema der Handlungen dem der Vergangenheit. „Im Mittelpunkt steht die sich anbahnende Liebesbeziehung, die gegen Widrigkeiten bestehen muss. Das Happily-Ever-After wird dann nicht mehr erzählt. Dieses Prinzip wiederholt sich ständig und sehen wir bis in die Gegenwart.“
Elfen, Feen, Göttinnen
Neben diesem Leitmotiv lassen sich weitere Bezüge herstellen: „Die angebeteten Frauen wurden bereits in der Mittelalter-Lyrik, Elfen, Feen oder Göttinnen gleichgesetzt“, sieht die Mediävistin Gemeinsamkeiten zwischen einst und jetzt. Darüber hinaus können die Protagonist:innen selbst übernatürliche Kräfte haben, im Besitz magischer Gegenstände sein oder kämpfen zum Beispiel gegen Drachen um die Geliebte. Während bei der heroischen Fantasy die detailreiche Beschreibung blutiger Schlachten die Seiten füllt, ist es bei Romantasy das Liebesdrama.
Diversität
Ganz anders als vor 800 Jahren geben heutzutage Autor:innen den Ton an. Daraus automatisch feministische Tendenzen abzuleiten, geht Isabella Managò zu weit. „Wir finden immer wieder die Sehnsucht nach einem starken Mann, der alles regelt.“ Das folge dann eher konservativen Werten. Wenngleich, wie die Wissenschaftlerin einräumt, Romantasy mittlerweile ein sehr breites Spektrum abdecke und sich von der Märchenwelt entferne. Die Buchreihen haben zum Beispiel homosexuelle Liebe sowie andere diverse Themen zum Inhalt.
Flucht in Fantasy
Die Geschichten, die dank Influencer:innen vor allem ein junges, vorwiegend weibliches Publikum begeistern, als seichte Literatur abzutun, lässt die Germanistin nicht gelten. Vielmehr müsse man sich fragen, warum gibt es dieses Bedürfnis nach Romantik? Warum versetzen sich die Menschen in eine Zeit, die von Helden geprägt ist? Isabella Managò: „Es hat mit dem Wunsch nach befremdender Andersheit zu tun, dem Alltag etwas entgegenzusetzen und ihn mit Abenteuern zu erweitern. Bei der Flucht in Fantasy-Welten verlassen wir auch unsere technisierte und digitalisierte Welt der ständigen Erreichbarkeit.“