Die US-Präsidentschaftswahl ist noch immer in vollem Gange: Während ein US-Bundesstaat nach dem anderen ausgezählt wird - aufgrund der großen Menge von Briefwahlstimmen, die wegen der Corona-Pandemie heuer abgegeben wurden, dauert dieser Prozess in diesem Jahr länger als normalerweise - , liegt der Demokrat Joe Biden aktuell mit 264 Wahlmänner-Stimmen vor dem Amtsinhaber Donald Trump, der 214 Delegierten-Stimmen aufweisen kann.
Die "magische" Zahl von 270 Wahlmännern, die die Mehrheit ausmachen und damit für einen Gewinn der Wahl genügen, rückt damit für Biden immer näher. Aber kann er sich, sollte er der nächste US-Präsident werden, wirklich als Sieger fühlen - in einem Land, das aktuell so gespalten ist wie das letzte Mal zu Bürgerkriegszeiten Mitte des 19. Jahrhunderts?
Diese und ähnliche Fragen disktuierte gestern, am 4. November, ein virtuelles Roundtable Event der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz. Eröffnet wurde die Veranstaltung mit einem Vortrag von Sabine Kim, PostDoc Reseacher am Obama Institute der Johannes-Gutenberg Universität, Mainz, mit dem Titel: “White Liberalism and Black Lives Matter: Race in the Age of Trump”.
Danach diskutierte das Podium über die US-Präsidentschaftswahl, die Amerika und die Welt - sollte Donald Trump seine Drohung, gegen eine Niederlage rechtliche Schritte einleiten zu wollen, wahr machen - noch länger beschäftigen könnte. Zusammengefasste Statements des "Panels":
Sabine Kim, PostDoc am Obama Institute, Johannes-Gutenberg Universität, Mainz
"Ich glaube nicht an eine radikale Veränderung sozialer Gegebenheiten, weder unter Trump noch unter Biden. Große Hoffnungen mache ich mir auch unter einem demokratischen Präsidenten. Wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass beispielsweise Rassismus kein individuelles, sondern ein systemisches Problem ist.“
Stefan Brandt, Institut für Amerikanistik, Universität Graz
„Amerika ist ein zutiefst gespaltenes Land. Was mich überrascht, ist, dass es dieses Mal zumindest eine Chance für einen demokratischen Präsidenten gibt. Durch die Medien haben wir das Bild des guten Joe Biden, der gegen den Tyrannen Trump kämpft, der kein Geheimnis daraus macht, dass er genau das sagt, was er sich denkt."
Ronald Gerste, Historiker und Buchautor
„In Anbetracht dessen, was wir in den Medien die letzten Monate lang gehört haben, hätte man einen politischen Erdrutschsieg Bidens erwarten können. Daher überrascht es mich, dass es nun doch so knapp ist. Viele haben die ‚politische Korrektheit‘ satt und mögen es daher, wenn jemand wie Trump provoziert.“
Martin Holtz, PostDoc, Institut für Amerikanistik, Universität Graz
„Ich bin gespannt auf die Reaktionen auf das Wahlergebnis. Es gab bereits Spekulationen über mögliche Aufstände, ganz egal, wer gewinnt. Ich hoffe auf einen friedlichen Übergang und dass man auf Fortschritt bedacht ist, anstatt Gegenreaktionen zu provozieren.“
Mark Wenig, U.S. Foreign Service Officer in Ruhe
„Was mich am meisten überrascht, ist, dass die Menschen Trump nicht für den schrecklichen Verlauf der Covid-19-Pandemie in den Staaten verantwortlich machen. Trump ist unberechenbar und amtsunfähig. Trotzdem wählen die Leute jemanden, der so unqualifiziert ist. Ich würde mir nicht die Mühe machen, mit Trump-UnterstützerInnen zu reden, da ich gar nicht wüsste, wie.“
Jennifer Schumm Fauster, Institut für Anglistik der Universität Graz
„Mich überrascht die momentane Situation nicht besonders. Wenn man sich die vorläufigen Wahlergebnisse ansieht, spiegelt sich nur das wider, was wir seit Jahren wissen – dass Amerika ein gespaltenes Land ist. Ich frage mich, was passiert, wenn all dies vorbei ist. Ich hoffe, dass jemand an die Macht kommt, der uns vereinen will.“